20
Jan
Nach längeren theoretischen Vorbereitungen, die etwa ein Jahr zuvor begannen, als wir mit einem Waldkauf ein weiteres Wiesenstück erwarben, kam am Sonnabend den 25. März 2006 das erste Vieh auf unsere Farm. Gekauft wurden, wiederum nach längeren theoretischen Vorbereitungen, braune Skudden aus dem hessischen Vogelsberg-Kreis.
Über den Schäfer konnte man im Internet viel Gutes lesen, was ja für einen vertrauensvollen Tierkauf wichtig ist. Der persönliche Eindruck konnte dem nicht ganz standhalten und die hingeworfene Bemerkung, dass er sich für gute Kritiken im Internet auch erkenntlich zeigen würde, konnte nicht so recht als Witz durchgehen.
Die Ordnung in seinem Viehbestand war nicht über jeden Zweifel erhaben, obwohl das Kennzeichnungssystem gut durchdacht schien (damals war noch eine gewisse Eigeninitiative in der Schafkennzeichnung möglich). Er hat aber offenbar (als Einzelkämpfer) zu viele Schafe (etwa 250 Muttern) um in der Lammzeit noch den Überblick zu behalten. In unserer Gegenwart musste er zweimal die Nummern der Tiere korrigieren, nachdem er uns zuvor wortreich sein Kennzeichnungssystem beschrieben hatte. Der einfache Kern war, dass die Farbe für den Jahrgang steht und die Nummer die Geburtsreihenfolge im Jahr dokumentiert.
„Grün 18“, die als Mutter mit Lamm auf seinem Abgabezettel stand, hatte die Ohrmarke „Grün 19“. Ein Versehen, „Grün 18“ war ein Bock. Zur Mutter „Grün 19“ gehört das Lamm „Rot 143“. In der kleinen Ablammbox, die für meine Begriffe mit drei Muttern und vier Lämmern überbesetzt war, suchte aber Lamm „Rot 141“ am Euter von „Grün 19“. Daraufhin änderte er stracks die Zuordnung in seinem Kalender und wars zufrieden. Wir haben dann auch dieses Lamm mitbekommen und nicht die 143.
Zu Hause angekommen sah alles ganz gut aus. Die Schafe waren ruhig, das Lamm tollte über die Wiese und alles schien gut. Schon am nächsten Tag verstärkte sich der Eindruck, dass es wohl doch das falsche Lamm war. Die Mutter ließ es nicht saugen.
Der Schäfer, von mir angerufen, war der Ansicht, dass das Lamm doch gar nicht mehr leben würde, wenn es zwei Tage nichts zu sich nimmt und er redete dann noch von der Milcharmut junger Mütter und deren dürftiger Fürsorge, wollte aber auf keinen Fall einräumen, dass die Lämmer etwa vertauscht sein könnten.
Unsere Tochter hat das Lamm „Paul“ getauft und wir waren auf die weitere Entwicklung gespannt. Für mich stand erst einmal ein dreitägiger Kurs über die Grundlagen der Schafhaltung auf dem Programm.
Am Abend des 30. März lag dann das Lamm scheinbar leblos auf dem Stroh des Unterstandes. Es lebte noch, also los in den Supermarkt und Babymilch und Flasche gekauft und los ging die Wiederbelebung. Das Lamm war zu schwach um zu saugen, wand sich in Krämpfen, hatte aber nach einiger Zeit im Warmen wieder Schluckreflexe, so dass ich tropfenweise etwas Milch eintrichtern konnte. So ging das bis nach Mitternacht und morgens ab fünf Uhr weiter. Es war nicht zu erkennen, dass es wirklich besser wurde.
So nahm ich dann das Lamm kurzerhand mit zum Schäferkurs. Dort wurde die Babymilch verworfen und Milchaustauscher angerührt. Es ging langsam aufwärts und am Nachmittag saugte das Lamm erstmalig selbständig. Am Wochenende wurde es weiter gepäppelt und auch immer mobiler, so dass wir dann am folgenden Montag ein Kleintiergatter kauften und es in unserem Wirtschaftsraum aufstellten. Doch schon nach einem Tag war es zu munter für dieses Gatter und war darin nicht mehr zu halten.
Am Tag darauf ist Paul dann mit einer extra erworbenen Flasche in die Lammbox in den Wiesenunterstand expediert worden und sollte dort dreimal täglich versorgt werden. Mittags wurde wieder warme Milch aufgefüllt und Paul trank eine Menge. Den Rest ließ ich in der Flasche und hängte sie in die Box zur „Selbstversorgung“. Gegen 17:00 Uhr konnte ich dann sehen, wie sich das Lamm an der Flasche selbst bediente. Das musste der Durchbruch sein! Am Abend gab es dann noch einmal die Flasche und nach einer ordentlichen Ration ließ ich Paul im Unterstand, noch mit dem Rest in der Flasche, zurück.
Dort war es aber in der Nacht offensichtlich zu kalt und am folgenden Morgen begrüßte mich Paul mit kläglichen Lauten und war unfähig sich vom Stroh zu erheben. Ich habe versucht es zu wärmen und musste es wieder „zwangsernähren“ aber es wurde bald besser und es saugte wieder selbst. Da Paul nach wie vor nicht fähig war sich auf den Beinen zu halten, wurde er in eine Kiste gepackt, in das Gepäckabteil meines x-trail verfrachtet und mit auf die Arbeit genommen. Nach einem Tag intensiver Pflege konnte er dann wieder in die Box zurück und wurde nur Abends zum Schutz vor Kälte in einen geschützten Raum gebracht.
So hat er sich dann prächtig entwickelt und wurde, wenn er denn allzu übermütig wurde, vom Chef der kleinen Herde mit einem Kopfstoß abgestraft.